Timeout-Klasse: kreative Wiedergutmachung

Chris Marty

Chris Marty,

1. Juni 2015
Porträt

Timeout-Klasse: kreative Wiedergutmachung

Während Monaten haben die Schülerinnen und Schüler der Frauenfelder Timeoutklasse im Kunstunterricht an unterschiedlichen Projekten gearbeitet, haben Künstler und deren Metier kennengelernt und sich versucht in die Rolle eines Künstlers zu versetzen. Nun steht die Ausstellung unmittelbar bevor und es sind viele wichtige Fragen zu klären: Wer zieht was an? Wer hat auf die Einladung geantwortet? Wie sicher ist die Zusage? Wer übernimmt die Verkaufsverhandlungen? Wann müssen wir wo sein? Die Vorfreude und Nervosität der Jugendlichen steigt, je näher die Ausstellung rückt. Wie bei echten Künstlern. Nur, dass es für die Schüler der Timeout-Klasse um viel mehr geht, als darum, ihre Werke zu verkaufen. Die Jugendlichen sehen die Ausstellung mit dem Titel «SonderSCHAU», die vom 26. bis 28. Juni im Schloss Frauenfeld stattfindet, als Chance, sich ihrem Umfeld von einer positiven Seite zu zeigen, die lange Zeit nur noch selten zum Vorschein kam. Aus diesem Grund haben die Schüler Einladungen an all jene Personen geschickt, die ihnen am Herzen liegen und denen sie ihr neues Ich präsentieren möchten. Linda (14) aus Wittenwil freut sich besonders auf ihren Lehrer, weil er sie stets unterstützte, auch wenn sie schlimme Sachen angestellt habe. «Er ist anders als alle anderen Lehrer, die ich je hatte. Er sorgte sich um mich, hat immer versucht mit mir zu reden und mich nicht einfach vor die Türe geschickt.» Auch der 16jährige Mirza freut sich auf seinen ehemaligen Lehrer. «Ich habe meinen Primarlehrer eingeladen, weil ich ihn sehr gerne habe», erklärt der Frauenfelder, der nach den Sommerferien eine Ausbildung zum Logistiker beginnt. Timo (13) aus Frauenfeld freut sich besonders auf seine Familie und sein Gotti, ebenso wie der 15jährige Mihail aus Weinfelden, der das Timeout erst seit einer Woche besucht. Auch Chiara freut sich auf ihre Familie, besonders auf ihren Bruder: «Ich habe so viele Probleme gemacht, es freut mich sehr, dass er in Form dieser Ausstellung zur Abwechslung etwas Schönes von mir sieht», erklärt die 16jährige Frauenfelderin.

«Eine einmalige Chance»

Die Sekundarschule Frauenfeld bietet für Jugendliche, die sich in ihrer Klasse nicht mehr zurechtfinden oder in eine persönliche Notsituation geraten, eine Timeout-Klasse an. Die «Schulische Auszeit» ist eine Gelegenheit, Geschehenes zu verarbeiten und das eigene Verhalten zu überdenken. Der Aufenthalt in der Timeout-Klasse dauert in der Regel drei bis maximal sechs Monate. Linda weiss diese Möglichkeit zu schätzen und sagt: «Es ist hier sehr anstrengend, weil wir von morgens bis fünf Uhr abends in der Schule sind. Aber es ist nicht nur streng und manchmal nervig, sondern auch eine einmalige Chance, wieder auf den richtigen Weg zu finden.» Auch für Nadine (15) aus Oberaach sind es lange Tage. Lange Tage, an denen sie ihre Emotionen im Griff haben und sich zusammenreissen müsse. Auch Joël (14) aus Wängi empfindet das Timeout als eine grosse Herausforderung, vor allem, weil er sich den ganzen Tag bemühen muss, nicht zu lügen. «Hier kann man seine Probleme nicht mehr einfach beiseite schieben, sondern wir sind alle hier, um uns damit auseinanderzusetzen. Dabei hilft uns Frau Stöckli so gut sie nur kann.»

Mehr als eine Klassenlehrerin

Franziska Stöckli ist die Klassenlehrerin der Timeout-Schüler – und noch vieles mehr. Sie ist Vertrauens- und Autoritätsperson zugleich, erste Anlaufstelle für grosse und kleine Probleme und Hilfe in grösster Not. Sie weiss über die teils tragische und schlimme Vergangenheit ihrer Schüler Bescheid und setzt alle notwendigen Hebel in Bewegung, um den Jugendlichen und ihrem Umfeld eine positivere Zukunft zu ermöglichen. Dies alles aus Leidenschaft für ihre «kleinen Knöpfe», wie sie ihre Schüler liebevoll nennt. «Die meisten der eingeladenen Personen haben meine Schüler noch als ganz andere Menschen im Gedächtnis. Nun können die Jugendlichen beweisen, dass sich bei ihnen etwas verändert hat und, dass sie sich nicht nur im Kunstunterricht angestrengt haben, sondern vor allem auch hart an sich selbst gearbeitet haben», erklärt Franziska Stöckli. Dazu dienen eben die Kunstausstellungen unter dem Motto «Kunst statt Krawall». Für die aktuelle Ausstellung haben die Jugendlichen jeweils unter Anleitung eines regionalen Künstlers an fünf verschiedenen Projekten gearbeitet. Sie haben gezeichnet, gemalt, gesprayt, Kerzenschalen aus Beton gegossen, in die später Kerzenwachs in allen Farben gegossen wurde und Blumentöpfe aus Blei hergestellt. Einige der entstandenen Werke wurden von der ganzen Klasse gemeinsam umgesetzt – und manche davon sind noch nicht ganz fertig. «Die Ausstellung nennt sich ‹SonderSCHAU›, weil die Jugendlichen nicht nur zeigen, was sie in den vergangenen Monaten erarbeitet haben, sondern die Besucher haben zudem die Möglichkeit, vor Ort zu verfolgen, wie die Projekte zustande gekommen sind. Deshalb werden die Schüler einzelne Kunstwerke erst während der Vernissage fertigstellen», erklärt Franziska Stöckli.

http://www.kunst-statt-krawall.ch